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Deutscher Privatinsolvenztag 2011

"Praxisanforderungen aus der
Änderung der Insolvenzordnung"

Der Deutsche Privatinsolvenztag 2011 fand am 4. November 2011 in München unter Beteiligung von 220 Praktikern aus allen Bereichen der Insolvenzpraxis und der Wissenschaft statt.

Die Präsentationen der Tagung stehen für einen Download zur Verfügung:

Die Ergebnisse der Tagung entnehmen Sie dem folgenden Tagungsbericht von
Herrn Dr. Christoph Alexander Jacobi, STAPPER INSOLVENZ- UND ZWANGSVERWALTUNG Leipzig,
veröffentlicht auch in ZInsO 2011, 2177

Tagungsbericht 2. Deutscher Privatinsolvenztag vom 04.11.2011 in München


Dr. Christoph Alexander Jacobi/Rechtsanwalt/Fachanwalt für Insolvenzrecht/Fachanwalt für Steuerrecht/Lehrbeauftragter der Universität Leipzig

I. Grundsätze des Deutschen Privatinsolvenztages

Die im Ergebnis ausgesprochen gelungene Veranstaltung in München am 04.11.2011 war ganz wesentlich von einer Vielzahl von sachlich fundierten und ebenso angeregten Diskussionen zwischen dem Auditorium und den Podiumsmitgliedern geprägt. Die Veranstaltung war mit rund 200 Teilnehmern sehr gut besucht. Sie fand in dem ansehnlichen, geradezu fürstlichen Saal des neuen Rathauses statt, den die Stadt München dankenswerter Weise zur Verfügung stellte.
Einleitend begrüßte Klaus Hofmeister als Vertreter der Stadt München (Sozialreferat) die Teilnehmer. Er nannte die aktuellen Zahlen zu überschuldeten Haushalten der Creditreform gemäß deren Bericht 2011. Danach ist lediglich ein geringfügiger Rückgang der Überschuldungen der privaten Haushalte zu verzeichnen. Insgesamt gibt es 6,4 Mio. überschuldete bzw. zahlungsunfähige oder sich in Zahlungsschwierigkeiten befindende Haushalte. Dies entspricht 9,38 % der Erwachsenen in Deutschland. Bereits aus diesen Zahlen resultiert die hohe gesellschaftliche Relevanz für einen „fresh start“ für Privatpersonen im Wege der Sanierung aus der Insolvenz. Hofmeister sprach in diesem Zusammenhang die wichtige soziale Kompetenz an, mit dem allseits anzutreffenden Konsumüberangebot umgehen zu können. Diese Kompetenz zu fördern, sei Aufgabe der heutigen Politik und damit auch die Aufgabe der Gesetzgeber der Insolvenzordnung. Im Anschluss an die einführende Rede von Hofmeister wurde ein instruktiver, ca. 90 Sek. langer Trickfilm gezeigt, der in einer Kooperation zwischen dem Deutschen Privatinsolvenztag und der Filmhochschule München entstand.
Unmittelbar nach dieser Begrüßung durch Hofmeister übernahm der Initiator und Vorstandsvorsitzende des 2. Deutschen Privatinsolvenztages e.V. Dr. Thorsten Graeber das Wort. Graeber stellte kurz und eindringlich das grundsätzliche Konzept des Deutschen Privatinsolvenztages vor. Ziel des Deutschen Privatinsolvenztages ist die Zusammenführung aller Beteiligten am Insolvenzverfahren. Es handelt sich um keine Veranstaltung, die ausschließlich oder auch nur primär für Insolvenzverwalter, für Rechtsanwälte oder für die Gläubiger geschaffen sei. Vielmehr besteht die ganz wesentliche Zweckrichtung dieses Kongresses darin, die Beteiligten paritätisch zusammenzuführen. Dies betrifft: Insolvenzverwalter/innen, beratende Rechtsanwälte/innen, Richter/innen, Rechtspfleger/innen, Schuldnerberater/innen und Gläubigervertreter/innen.
Inhalt des Kongresses war sowohl bei der ersten Veranstaltung 2010 als auch 2011 jeweils nicht das Aufführen aktueller Rechtssprechung und deren Diskussion zwischen Podium und Auditorium. Es wurden stattdessen Themen abgehandelt, die derzeit aktuell gesetzgeberisch im Entstehen begriffen sind. Für alle Teilnehmer spannend war daher das Gestalten der Rechtsordnung in gemeinsamer Diskussion mit den zuständigen gesetzgebenden Körperschaften, auf dem 2. Deutschen Privatinsolvenztag vertreten durch das Bundesministerium der Justiz, Frau Dr. Fellenberg. Für die Teilnehmer des Kongresses war die Veranstaltung daher auch unter dem Stichwort „Demokratie live“ zu erleben, denn aktuelle, anstehende gesetzliche Änderungen in der Insolvenzordnung wurden gemeinsam mit dem Bundesministerium der Justiz diskutiert - stets mit dem Ziel der möglichen Verbesserung.
Insofern weicht das Konzept des Deutschen Privatinsolvenztages in ganz erfreulicher und erfrischender Weise von den Konzepten anderer Veranstaltungen im Bereich des Insolvenzrechts ab.

II. Regierungsentwurf zur Neuregelung des Insolvenzrechts für natürliche Personen

Thema des 2. Deutschen Privatinsolvenztages war der, noch im Entstehen begriffene, Regierungsentwurf zur Neuregelung des Insolvenzrechts natürlicher Personen. Als Vertreterin des Bundesjustizministeriums stellte Frau Dr. Fellenberg die wesentlichen Inhalte des Gesetzesentwurfes vor. Bei allen Darlegungen, Überlegungen und nachfolgenden Diskussionen wurde deutlich, in welchem frühen Stadium des Gesetzgebungsprozesses das Gesetz noch verharrt. Entsprechend offen war nicht nur die Diskussion im Anschluss zu den vorgestellten Inhalten des Entwurfs, sondern auch das Bundesjustizministerium, vertreten durch Frau Dr. Fellenberg, bei der Aufnahme von Anregungen und Änderungsvorschlägen sowie Einwendungen zu der bestehenden Entwurfsfassung. Im Ergebnis der fruchtbaren Diskussion dürfen die Teilnehmer, insbesondere die Podiumsteilnehmer der Diskussion, von der Hoffnung getragen sein, dass Anregungen, Ergänzungen sowie Einwände zu den Plänen zur Änderung der Insolvenzordnung betreffend natürliche Personen durch Frau Dr. Fellenberg als Sprachrohr Eingang in die Gesetzgebungsarbeit finden werden.
Dem aktuellen Stand der Gesetzgebungsarbeiten nach wird es noch im Jahr 2011 eine Abstimmung der Bundesregierung über die Inhalte geben. Im Anschluss wird der Entwurf, ebenfalls noch im Jahr 2011 geplant, an Fachverbände zur Stellungnahme versandt sowie auf der Homepage des Bundesjustizministeriums veröffentlicht werden.
Im Einzelnen:
Einleitend erwähnte Fellenberg den für viele Schuldner wichtigen Aspekt, dass das Prinzip der Verfahrenskostenstundung aus heutiger Sicht beibehalten bleibt. Es existieren keine empirischen Daten dazu, inwieweit und in welchem Zeitraum Rückflüsse auf die gestundeten Verfahrenskosten zu verzeichnen sind. Ob und in welchem Zeitraum Schuldner die gestundeten Verfahrenskosten letztlich an den Staat zurückzahlen, kann derzeit nicht präzise mitgeteilt werden. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Rückflüsse prozentual sehr gering sind.
Zentrales Thema der Reform des Insolvenzrechts natürlicher Personen ist die Verkürzung der Restschuldbefreiungszeit, nach der die Restschuldbefreiung erteilt werden kann. Insgesamt sollen künftig weniger Unterschiede zwischen Insolvenzverfahren von Selbstständigen bzw. ehemals Selbstständigen und Verbraucherinsolvenzen (IN-, IK-Verfahren) bestehen. Die Abkürzung der Restschuldbefreiungszeit soll sowohl für IN-, als auch für IK-Verfahren festgeschrieben werden. Fellmann erwähnt die gesellschaftliche und wirtschaftliche Relevanz einer schnelleren Entschuldung. Geplant sei, wie aus bisherigen Diskussionen bereits bekannt, nach wie vor eine Verkürzung der Restschuldbefreiungszeit auf insgesamt 3 Jahre, sofern sowohl die Verfahrenskosten als auch eine Mindestquote in Höhe von 25 % gewährleistet sind. Einzelheiten hierzu sind noch offen. Eine Restschuldbefreiungszeit von 5 Jahren soll greifen, sofern zumindest die Verfahrenskosten gedeckt sind. Anderenfalls verbleibt es bei den bisherigen 6 Jahren. Durch die Mindestquote von 25 % soll dem Schuldner auf der einen Seite Anreiz geboten werden, das Verfahren innerhalb dieser kürzeren Zeit abzuschließen. Auf der anderen Seite sollen die Gläubigerrechte (Art. 14 GG) gestärkt werden.
Versagungsanträge zur Restschuldbefreiung (RSB) sollen künftig jederzeit und schriftlich, selbst nach dem Schlusstermin gestellt werden können.
Die RSB-Versagungsgründe sollen verschärft und insbesondere ausgeweitet werden auf Straftaten wie Betrug, Untreue, ggf. auch Sachbeschädigung. Antragsberechtigt soll dann nur derjenige Insolvenzgläubiger sein, der durch das betreffende Delikt geschädigt ist.
Eine gesetzliche Regelung soll die BGH-Rechtsprechung erfahren, nach der seit 2009 als missbräuchlich angesehene RSB-Anträge zurückgewiesen werden (z. B. BGH v. 16.07.2009 – IX ZB 219/08). Nach dieser BGH-Rechtsprechung können aus einer verschiedenen Anzahl von Gründen RSB-Anträge innerhalb einer Sperrfrist von 3 Jahren zurückgewiesen werden, wenn in einem früheren Insolvenz(antrags)verfahren ein RSB-Antrag bspw. deswegen keinen Erfolg hatte, weil der Schuldner seinen Mitwirkungspflichten im Insolvenzverfahren nicht nachkam und daher die Restschuldbefreiung versagt wurde.
Die Erwerbsobliegenheit des Schuldners, die derzeit in § 295 InsO für die Wohlverhaltensphase geregelt ist, soll im gesamten Insolvenzverfahren gelten.
Unterhaltsschulden sollen von der Restschuldbefreiung ausgenommen werden (§ 302 InsO).
§ 114 Abs. 1 InsO (Bankenprivileg bzgl. Lohnabtretung) soll gestrichen werden.
Das RSB-Verfahren soll umgestaltet werden. Die Entscheidung über die beantragte Restschuldbefreiung soll nicht mehr im Schlusstermin, sondern zu Beginn des Verfahrens getroffen und überflüssige Insolvenzverfahren hierdurch möglichst vermieden werden.
Geplant sind Regelungen für Insolvenzverfahren, in denen die Abtretungszeit – von derzeit 6 Jahren – bereits abgelaufen, das Insolvenzverfahren als Verwertungsverfahren jedoch noch nicht abgeschlossen ist (vgl. BGH v. 03.12.2009 – IX ZB 247/08). In dieser Konstellation soll Neuerwerb jeder Art, insbesondere pfändbares Einkommen, nach Ablauf der Abtretungszeit dem Schuldner zustehen, sofern die Restschuldbefreiung erteilt wurde.
Im Bereich des Verbraucherinsolvenzrechts (IK-Verfahren) soll es künftig keine außergerichtlichen Einigungsversuche mehr geben, sofern diese offensichtlich aussichtslos sind. Der gerichtliche Einigungsversuch soll abgeschafft werden.
Hinsichtlich der BGH-Rechtsprechung zur Verwertung von Wohnungsgenossenschaftsanteilen (BGH v. 19.03.2009 – IX ZR 58/08) ist seitens des Bundesjustizministeriums zu konstatieren, dass diese Rechtsprechung in sozialer Hinsicht teilweise äußerst problematisch ist. Die Gefahr ist, dass ein Schuldner durch die Verwertung der Genossenschaftsanteile seine Wohnung verliert, da der Genossenschaftsanteil in der Regel eine der Mietkaution gleiche Funktion erfüllt. Soweit daher eine hinreichende Ähnlichkeit mit der Mietkaution besteht - und insbesondere der Höhe nach keine Sparanlage gegeben ist - soll der Schuldner künftig entsprechend § 109 Abs. 1 S. 2 InsO geschützt werden.
Erwogen wird vom Bundesjustizministerium derzeit ferner eine Änderung der funktionellen Zuständigkeit, wonach Verbraucherinsolvenzverfahren vollständig vom Richter auf den Rechtspfleger verlagert werden - von der Entscheidung über die Verfahrenseröffnung bis zur Entscheidung über eine beantragte RSB-Versagung. Hierdurch soll auch ein Ausgleich für die Änderung im Zuge des ESUG erfolgen, wonach der Insolvenzplan künftig unter Richtervorbehalt steht.

III. Podiums- und Publikumsdiskussion zu den geplanten Änderungen
Zu diesen von Frau Dr. Fellenberg vorgetragenen, von der Bundesregierung geplanten Änderungen des Insolvenzrechts in Verfahren natürlicher Personen nahm im Anschluss das Podium Stellung. Im Diskussionspodium waren neben Dr. Fellenberg vertreten: Ulrich Jäger als Vertreter der Gläubigerseite (Seghorn Inkasso GmbH), Ulrich Schmerbach als Vertreter der Insolvenzgerichte (Amtsgericht Göttingen), Dr. Claus Richter als Vertreter der Schuldnerberatungen und Rechtsanwältin Dr. Susanne Berner als Vertreterin der Insolvenzverwalter/innen (Insolvenzverwalterin u. a. in Berlin). Podiumsleiter war Prof. Dr. Ahrens als Vertreter der Wissenschaft (Universität Göttingen).
Prof. Dr. Ahrens erläuterte verschiedene Einzelheiten zu dem geplanten Gesetzesentwurf. Hierbei zeigte er eine Vielzahl von Eckpunkten auf, die bislang ungeklärt sind. Insbesondere werden nach Ansicht von Ahrens sogenannte asymmetrische Verfahren zunehmen. Bei diesen Verfahren ist die RSB-Zeit bereits abgelaufen, das Insolvenzverfahren jedoch noch nicht abgeschlossen, mithin Vermögensgegenstände noch nicht verwertet. Bei der Frage, wie sich die Mindestquote von 25 % zur Abkürzung der RSB-Zeit auf 3 Jahre bemesse, seien noch keine Einzelheiten im Bundesjustizministerium diskutiert worden. Insbesondere ist unklar, ob sich die Quote lediglich auf die festgestellten Insolvenzforderungen beziehe, was nach Ansicht von Ahrens der Fall sein müsse. In Frage komme jedoch auch, dass sich die Quote auf die angemeldeten oder bekannten Insolvenzforderungen beziehe. Darüber hinaus sei ungeklärt, zu welchem Zeitpunkt die 25 %-ige Quote gezahlt werden müsse bzw. zu welchem Zeitpunkt das Geld zur Verfügung stehen müsse. Insbesondere sei zu überlegen, ob das Geld auch nach Ablauf von 3 Jahren noch zur Verfügung gestellt werden könne, sodass etwa nach 4 Jahren, bei Bezahlung der 25 %-igen Quote, das Verfahren eingestellt bzw. die Restschuldbefreiung erteilt werden könne. Darüber hinaus muss die Frage der Verfahrenskosten besser geklärt und vor allem für den Schuldner transparenter gemacht werden, damit dieser sich auf diese Kosten einstellen könne. Auch sei bislang nicht geklärt, was mit überobligatorischen Leistungen des Schuldners oder von Leistungen Seiten Dritter zur Bezahlung der 25 %-igen Quote geschehe, wenn dem Schuldner im Nachhinein die Restschuldbefreiung versagt werde. Die Verkürzung der RSB-Zeit auf 5 Jahre bei Kostendeckung hält Ahrens uneingeschränkt für eine sinnvolle Regelung.
Schriftliche Versagungsanträge hält er zumindest in dem Fall für problematisch, in welchem diese jederzeit gestellt werden könnten. Sinnvoller wäre es nach Ansicht von Ahrens, wenn vor Abhaltung des Schlusstermins den Gläubigern Gelegenheit zur Stellung der Versagungsanträge gegeben wird.
Auch sieht Ahrens die Privilegierung von Unterhaltsforderungen kritisch. Diese sollen von der Restschuldbefreiung entsprechend der derzeitigen Regelung von § 302 InsO ausgenommen werden. Ziel des Gesetzgebers sei der Schutz der Unterhaltsgläubiger. Erreicht werde hiermit jedoch - an diesem Zweck vorbeigehend - eine Privilegierung öffentlicher Kassen. Denn regelmäßig gingen die Unterhaltshaltsvorschusskassen in Vorleistung, sodass diese und nicht der Unterhaltsgläubiger „geschützt“ würden. Darüber hinaus werde der Unterhaltsgläubiger nicht dadurch geschützt, dass ihm Jahre später, völlig unabhängig von seinem aktuellen finanziellen Bedarf, eine Forderung zusteht, die von der Restschuldbefreiung ausgenommen ist.
Die Umgestaltung des RSB-Verfahrens in der Form, dass die Eingangsentscheidung zur Restschuldbefreiung zu Beginn des Verfahrens getroffen werde, hält Ahrens für fragwürdig. Diese Umgestaltung sei systematisch unstimmig und bringe letztlich keine Vorteile.
Die Änderung des Gesetzes zur Regelung der Genossenschaftsanteile in Angleichung an die Regelung zur Mietkaution (§ 109 Abs. 1 S. 2 InsO) hält Ahrens uneingeschränkt für erforderlich.
Ein Zuständigkeitswechsel bei Verbraucherinsolvenzverfahren vom Richter auf den Rechtspfleger sieht Ahrens kritisch.
Im Anschluss zu dem Vortrag von Ahrens nahmen die übrigen Podiumsteilnehmer kurz und prägnant Stellung:
Frau Dr. Berner wies darauf hin, dass eine 25 %-ige Mindestquote als Voraussetzung für die Verkürzung der RSB-Zeit auf 3 Jahre unrealistisch sei und voraussichtlich in keinem einzigen Verfahren erreicht werde. Sie stellt die Forderung auf, dass bei IK-Verfahren ein Insolvenzplan möglich sein sollte. Versagungsanträge sollten zwar schriftlich und jederzeit gestellt werden können, die Entscheidung hierüber sollte jedoch nicht jederzeit im Laufe des Verfahrens, sondern erst im Schlusstermin erfolgen. Weiter vertritt Berner, § 313 Abs 2, Abs. 3 InsO müsse gestrichen werden. Mithin sollte es eine Angleichung zwischen IK- und IN-Verfahren geben. Zudem wäre es sinnvoll, wenn der Treuhänder, ohne Gläubigerauftrag, anfechten und fremdrechtbelastete Immobilien verwerten könne.
Im Anschluss kam Dr. Claus Richter als Vertreter der Schuldnerberater zu Wort. Er hält eine Verkürzung der RSB-Zeit im Verfahren natürlicher Personen für notwendig. Die Einführung einer Mindestquote schaffe allerdings ein 2-Klassen-Recht, da nur der wohlhabende Schuldner bzw. derjenige, der über wohlhabende Bekannte, Verwandte oder Geschäftspartner verfüge bzw. solche, die ihm wohlgesonnen sind, eine Verkürzung des Verfahrens zu Stande bringen könne. Die Ausweitung der RSB-Versagung findet Richter problematisch, weil dadurch der Neustart deutlich erschwert werde. Er weist beispielsweise darauf hin, dass nach den derzeitigen Überlegungen des Bundesjustizministeriums wohl selbst Delikte wie Fahrerflucht (§ 142 StGB) RSB-Versagungsantäge rechtfertigen würden. Im Übrigen meint er, dass die Erwägung, schriftliche RSB-Versagungsanträge jederzeit stellen zu können, zu einer erheblichen Belastung der Justiz führen dürfte. Im Bereich der außergerichtlichen Schuldenbereinigung hält er eine Regelung für notwendig, die nicht nur die vom Schuldner benannten, sondern sämtliche Forderungen erfasse.
Hierauf fasste Ulrich Schmerbach seine Auffassung zu den bevorstehenden Änderungen zusammen. Schmerbach gab sich regelrecht schockiert über die angestrebten Neuerungen der Verlagerung aller Entscheidungen in Verbraucherinsolvenzverfahren vom Richter auf den Rechtspfleger. Er hält dies aus verfassungsrechtlichen Gründen für unmöglich und im Übrigen auch sachlich kaum umsetzbar. Es handele sich bei der Rechtsprechung zu den RSB-Versagungsgründen im Wesentlichen um Einzelfallrecht und damit um typische Richtertätigkeit. Er regt daher vehement an, diese strukturelle Änderung nochmals zu überdenken. Insbesondere wies er den Aspekt des Ausgleichs im Zuge des ESUG zurück. Süffisant bemerkte er, dass nach der derzeitigen Überlegung der einzelne Richter pro Jahr vielleicht zusätzlich 2 Insolvenzpläne „auf den Tisch“ bekomme und im Gegenzug durchschnittlich 500 - 1000 Verbraucherinsolvenzverfahren vollständig an den Rechtspfleger abgebe. Insofern stellt sich die Frage, ob dies ein „fairer Tausch“ sei.
Ulrich Jäger als Vertreter der Gläubiger hält in deren Interesse eine jederzeitige und schriftliche Möglichkeit, Versagungsanträge zu stellen, für sinnvoll, sofern die Entscheidung hierüber im Schlusstermin falle. Er ist der Auffassung, eine kürzere RSB-Phase führe zu einer verbreiterten Verschuldung. Darüber hinaus weist er auf einen bisher nicht diskutierten Aspekt hin, nämlich die Überlegung, die teilweise umständlichen und aufwendigen Forderungsanmeldungen erst dann zu veranlassen, wenn tatsächlich Verteilungsmasse vorhanden ist bzw. erwirtschaftet wurde. Nach Auffassung von Jäger dürfte dies eine erhebliche Arbeitsersparnis für Verwalter und Gerichte bringen.
Im Anschluss wurden die angesprochenen Änderungen im Insolvenzverfahren natürlicher Personen ausführlich und angeregt zwischen Auditorium und Podium diskutiert. Die Diskussion entsprach im Wesentlichen den differenzierten Stellungnahmen der Podiumsteilnehmer. Es gab wohl kaum einen Teilnehmer des Kongresses, der diese Wortgefechte nicht mit Spannung verfolgte. Die 25 %-ige Mindestquote wird sowohl positiv als auch negativ bewertet. Hierzu wird im Auditorium insbesondere mehrmals der Umstand erläutert, dass zum einen der Insolvenzplan auch in IK-Verfahren dringend erforderlich sei, auch um Benachteiligungen dieser Schuldner zu verhindern. Zum anderen wird im Auditorium mehrfach darauf hingewiesen (u. a. von Prof. Dr. Grote/Dr. Stapper/Dr. Hilgers), dass ein Insolvenzplan mit deutlich geringeren Quoten als der angedachten 25 %-igen Mindestquote weiterhin möglich bleibe und insofern diese Mindestquotenregelung möglicherweise leerlaufe (Dr. Hilgers verweist hier insbesondere auf die umfassenden praktischen Erfahrungen von Rechtsanwalt und Insolvenzverwalter Dr. Florian Stapper, der mit über 40 umgesetzten Insolvenzplänen von ihm als deutschlandweit führend bezeichnet wird).
Zum Abschluss der spannenden Diskussionen weist Frau Dr. Fellenberg als Vertreterin des Bundesjustizministeriums nochmals darauf hin, dass sich der Entwurf erst im Anfangsstadium befinde.

IV. Abschaffung von § 114 Abs. 1 InsO
Im Anschluss an die - kulinarisch gelungene - Mittagspause wird das Thema des Einkommens des Schuldners im Insolvenzverfahren sowie die Abschaffung von § 114 Abs. 1 InsO einer intensiven Diskussion zugeführt. Podiumsteilnehmer hierzu sind: Prof. Dr. Ulrich Heyer (Podiumsleiter), Rechtsanwalt Dr. Florian Stapper, Dr. Stefan Saager (Bundesverband Volks- und Raiffeisenbanken) und Dipl.-Kaufm. Frank Wiedenhaupt.
Das einführende Referat zu diesem Thema hält Dr. Florian Stapper mit praxisnahen Ausführungen. Seine Kernthese, § 114 Abs. 1, Abs. 2 InsO abzuschaffen, begründete Stapper im Wesentlichen mit einem rechtlichen sowie einem rechtspolitischen Argument. In rechtlicher bzw. rechtsystematischer Hinsicht widerspreche insbesondere § 114 Abs. 1 InsO dem, nach wie vor zu befürwortenden, Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung (par condicio creditorum). Die Abschaffung von § 114 InsO sei auch mit Blick auf die Historie gerechtfertigt. Weder in der Konkursordnung noch in der Gesamtvollstreckungsordnung oder der Vergleichsordnung gab dem § 114 InsO entsprechende Vorbilder. Insofern verwirklicht die Abschaffung den Gläubigergleichbehandlungsgrundsatz als eines der tragenden Prinzipien der Insolvenzordnung. Darüber hinaus ist auch aus rechtspolitischer Hinsicht nach Auffassung von Stapper anzumerken, dass der Gesetzgeber offensichtlich mit der Schaffung des § 114 InsO die Kreditwürdigkeit von potenziell insolventen Schuldnern erhöhen wollte. Hierauf aufsetzend stellte Stapper dar, wie und unter welchen Umständen der durchschnittliche Verbraucher zu einem Konsumkredit gelange. Denn im Ergebnis befördere § 114 InsO im Wesentlichen diese Art von Krediten und nicht Kredite, beispielsweise für den Kauf von Immobilien oder Ähnlichem. In der Praxis ergebe eine Auswertung verschiedener kleinerer und größerer Banken, die Konsumkredite vergeben, dass sie hierfür einen Zinssatz in Höhe von durchschnittlich ca. 8 % pro Jahr verlangen. Es fallen neben diesen jährlichen Zinsen in der Regel noch die Kosten für eine Restschuldversicherung an. Im Ergebnis bezahle damit derjenige, der sich beispielsweise einen Fernseher für EUR 500,00 nicht per Sofortzahlung leisten kann, für diesen Fernseher im Ergebnis knapp das doppelte, wohingegen derjenige, der sofort bar zahlen kann, einen Rabatt aushandelt. Rechtspolitisch sei daher ausgesprochen fragwürdig und daher in die aktuellen gesetzgeberischen Überlegungen mit einzubeziehen, ob es tatsächlich sinnvoll sei, diese Art der Vergabe von Konsumkrediten zu fördern. Möglicherweise ist es politisch deutlich sinnvoller, Verbraucher durch die Abschaffung von Regelungen wie § 114 InsO nicht in die „Konsumkreditfalle“ treten zu lassen. Darüber hinaus betonte Stapper, dass bei Abschaffung von § 114 Abs. 1, Abs. 2 InsO auch die Arbeit für die Insolvenzgerichte vereinfacht werde, da diese Abtretungen nicht mehr geprüft werden müssen. Darüber hinaus können die Verfahrenskosten aus dem pfändbaren Vermögen eher bezahlt werden und es ergebe sich gelegentlich auch eine Quote für alle Insolvenzgläubiger.
In der anschließenden Podiumsdiskussion unter Einbezug des Auditoriums stellte Dr. Saager seine Auffassung derjenigen von Stapper entgegen. Saager meinte, dass es jedem Verbraucher selbst überlassen bleiben müsse, ob und welche Kredite er aufzunehmen gedenke. Nach Ansicht von Saager habe hier die Insolvenzordnung bzw. die Politik nicht als Vormund des Konsumenten aufzutreten. Im Ergebnis ist Saager als Vertreter der Banken für die Beibehaltung von § 114 InsO. Im Übrigen meint er, auch der Gläubigergleichbehandlungsgrundsatz sei nicht tangiert und sehe vielmehr in der Abschaffung von § 114 InsO eine Schlechterstellung der Banken hinsichtlich dieser Sicherheit der Lohnabtretung gegenüber anderweitigen Sicherheiten.
Frank Wiedenhaupt wies darauf hin, dass lediglich ein geringer Prozentsatz der Konsumkredite überhaupt notleidend werde und daher aus praktischer Sicht § 114 InsO kaum Relevanz beweise. Denn im Wesentlichen werden Konsumkredite zurückgezahlt, wenn auch oft erst nachdem diese an Inkassobüros abgetreten wurden. Nach seiner Erfahrung legen selbst die Banken kaum mehr wert auf § 114 InsO und dessen rechtlichen Auswirkungen. Dies zeige sich nach seiner Erfahrung insbesondere darin, dass die Banken oftmals in Insolvenzverfahren nicht oder nur sehr unzureichend auf ihre Rechte gemäß § 114 InsO hinweisen. Diese Auffassung wird in der anschließenden Publikumsdiskussion ebenfalls vertreten und aus verschiedenen Fällen praktisch geschildert. Insofern sei, so verschiedene Teilnehmer aus dem Publikum, § 114 Abs. 1 InsO als überflüssiges „Bonbon“ für die Banken zu verstehen. Auch außerhalb der Insolvenz bemühen sich die Banken kaum um die Rechtswirksamkeit einer Abtretung und kontrollieren insbesondere nicht, ob es bereits vorrangige Abtretungen gibt oder Abtretungsverbote in Arbeitsverträgen des Kreditnehmers existieren. Bankenvertreter aus dem Publikum äußerten insofern, dass die Frage, ob § 114 InsO bestehen bleibe oder nicht, im Wesentlichen für die Kreditverpreisung, mit anderen Worten für die Zinshöhe eine Rolle spiele, weniger jedoch die tatsächliche Sicherheit selbst. Erwiderungen aus dem Publikum stellten diese Äußerungen hingegen in Frage, ob es sich hierbei mithin nicht um eine zirkuläre Argumentation handele. Denn sofern die Lohnabtretung als Sicherheit keine Rolle spiele, könne sie auch kaum als sachgerechtes Kriterium bei der Kreditverpreisung relevant sein.

V. Stärkung der außergerichtlichen Einigung
Die abschließende Podiumsdiskussion fand zum Thema „Stärkung der außergerichtlichen Einigung zwischen Schuldner und Gläubiger“ statt. Moderiert wurde die Diskussion von Prof. Dr. Hugo Grote. Das Impulsreferat hielt Rechtsanwalt Kai Henning. An der anschließenden Podiumsdiskussion waren Richter am Amtsgericht Göttingen Ulrich Schmerbach, Schuldnerberater Klaus Hofmeister, Ulrich Jäger als Vertreter der Gläubigerseite und Rechtsanwältin Nina Tschirpke beteiligt.
Die Planungen des Bundesjustizministeriums, den außergerichtlichen Einigungsversuch im Verbraucherinsolvenzverfahren abzuschaffen, sofern dieser aussichtslos ist, wurde ausführlich diskutiert. Henning wies insbesondere darauf hin, dass es notwendig sei, die Zwangsvollstreckung während des Versuchs der außergerichtlichen Einigung einzustellen. Darüber hinaus sei die Einbeziehung aller Gläubiger notwendig, auch derjenigen, die nicht am Einigungsversuch beteiligt seien. Darüber hinaus seien nach Auffassung von Henning formularmäßige Standards für die außergerichtliche Einigung sinnvoll. Insgesamt spricht sich Henning deutlich für eine Stärkung der außergerichtlichen Einigung aus.
In der anschließenden Podiumsdiskussion unter Einbezug des Auditoriums wurde insbesondere die Hoffnung deutlich, dass sich bei einer Stärkung der außergerichtlichen Einigung die Erfolge bei abzuschließenden Vergleichen steigern lassen (Jäger). Der diskutierte Formularzwang für die außergerichtliche Einigung wurde aufgrund der inhaltlichen Ungenauigkeit für problematisch angesehen (Tschirpke). In jedem Fall müsse die außergerichtliche Einigung auf der Basis transparenter und kontrollfähiger Unterlagen stattfinden, die die Vermögensverhältnisse vollständig und richtig darlegen. Die Stärkung der außergerichtlichen Einigung werde zu einer Entlastung der Gerichte führen. Schmerbach wies auf die Notwendigkeit hin, dass ein einheitliches, außergerichtliches Schuldnerbereinigungsverfahren bei allen natürlichen Personen (IN- und IK-Verfahren) notwendig sei. Die Entscheidung darüber, ob ein Einigungsversuch aussichtslos ist, sollten die Schuldnerberatungsstellen fällen. Darüber hinaus sollte nach Ansicht von Schmerbach dieser außergerichtliche Einigungsversuch fakultativ gestaltet werden.

VI. Fazit:
Der 2. Deutsche Privatinsolvenztag in München war eine instruktive Veranstaltung, die durch die Diskussion zu geplanten Gesetzgebungsvorhaben das Demokratieprinzip im Rahmen des parlamentarischen Rechtsstaates hervorhob und stützte. Ganz im Sinne des Wortes war diese Veranstaltung geeignet, dem - in diesem Fall fachlich versierten - „Volk“ (grch. dēmos) die Möglichkeit zu geben, Einfluss auf Gesetzgebungsvorhaben zu nehmen. Es dürfte daher für die Zukunft nicht verwundern, wenn sich die derzeit 155 Mitglieder des Deutschen Privatinsolvenztag e.V. noch mehren und sich die Teilnehmerzahl zur nächsten Veranstaltung - voraussichtlich am 09.11.2012 in München - weiter erhöht.